Startup Scouting und Venture Capital:
Der Weg ist das Ziel.
Die ewige Suche nach dem Hockey Stick, dem Geschäftsmodell, dem Team, dem Startup, das exponentielles Wachstum mit nachhaltiger Profitabilität verbinden kann… Ist es nicht das, wovon wir alle träumen?
Fast. Nicht nur, dass es sehr schwierig, aufwändig und kostspielig ist, so zu denken (empirisch-mathematisch braucht es zwischen 200 und 250 Investments, um einen Mega-Hit zu landen). Tatsächlich gibt es zudem jede Menge anderer Gründe, in ein Startup zu investieren. Das kann die Unterstützung einer sinnvollen, vielleicht menschen- oder planetenrettenden Idee sein (Impact Investing), die Suche nach nachhaltig profitablen Geschäftsideen mit Zukunftsaussicht (Evergreen Funds), der Zugang zu neuen Märkten und Technologien, die Integration von Erfahrung und Persönlichkeiten (Acquihires) oder schlicht die Suche nach strategisch passenden, die eigenen Geschäfte der Zukunft unterstützenden Partnern sein (Corporate Venture Capital).
Mich selbst hat das Thema im Laufe meiner Karriere immer wieder beschäftigt, und die meisten der oben genannten Motive habe ich schon aus verschiedenen Perspektiven hautnah miterlebt.
Die WWT und der Verkaufsautomat Good-Buy waren wagniskapitalfinanziert. Bei Lecturio war ich direkt in eine große Finanzierungsrunde involviert und dafür verantwortlich, die projizierte Traction (=Geschäftsentwicklung) zu beweisen bzw. glaubwürdig erscheinen zu lassen.
Bei Beiersdorf schließlich war ich direkt in das Investment in den Next Commerce Accelerator, das VC-Invest in ein junges E-Commerce-Startup und den Aufbau unserer Risikokapital-Einheit, Oscar & Paul Beiersdorf Venture Capital, involviert.
Noch immer kümmere ich mich um das Scouting von Startups im Digitalbereich und bin Mitglied im Venture Lead Team, und damit aktiv in die Auswahl und Bewertung von Startup-Investments involviert.
Scouting für die Beiersdorf AG
Ich bin der festen Überzeugung, dass reines Desktop- genau wie reines Auftrags-Scouting nicht zu den gewünschten Ergebnissen führen. Wenn man an die wirklich interessanten Startups kommen will, muss man sich vor Ort Netzwerke aufbauen. Man darf sich nicht nur die ausstellenden Startups anschauen, sondern auch die, die bei Side Events pitchen oder schlichtweg auf den Networking-Parties mit dabei sind.
Hinzu kommt, dass der alte Saint-Exupery-Ausspruch, „Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar“, auch und gerade auf Startups zutrifft. Nur vor Ort und im direkten Gespräch kann man die richtigen Was-wäre-wenn-Fragen stellen, kann man gemeinsam mit den Gründern Möglichkeiten austauschen und von anderen Investoren lernen, wo es noch etwas Spannendes, nicht Offensichtliches zu entdecken gibt.
Und nicht zuletzt: gezieltes (Auftrags-)Scouting bedeutet, dass man schon sehr genau wissen muss, wonach man eigentlich sucht. Das jedoch ist so gut wie immer aus dem eigenen, linearen Verständnis der Vergangenheit gespeist. Disruptive Innovationen kann man gar nicht gezielt suchen.
Als ich mit dem Startup-Scouting für Beiersdorf begann, war mir klar, dass ich nur dann würde erfolgreich sein können, wenn es mir gelänge, schnell ein umfassendes Netzwerk aufzubauen. Ich musste mir in der Startup-Szene einen Namen machen, man sollte mich als „The Startup Guy From Beiersdorf“ kennen. Und deshalb besuchte ich in den ersten drei Jahren mehr als 80 Konferenzen und Startup-Events, trat auf diversen von diesen als Speaker oder Panelist auf, und saß in diversen Jurys. Und nein, nur die wenigsten hatten etwas mit Hautpflege oder Kosmetik zu tun – denn auf den einschlägigen Konferenzen unserer Branche kannte man uns ja schon.
Eine kleine Auswahl von mir besuchter Konferenzen
Erfolgsfaktoren im Startup-Scouting
Natürlich ist das Netzwerk nur einer von mehreren Erfolgsfaktoren im Startup- und Technologie-Scouting. Die anderen sind:
- Verständnis – Mir hat es von vornherein geholfen, dass ich nicht nur – als mehrmaliger Entrepreneur und VC-Sucher – die Nomenklatur beherrschte und die gängigen Fachbegriffe kannte, sondern dass ich tatsächlich weiß, wie es sich auf allen Seiten anfühlt. Auf der des Startups, des Gründers und des Geldgebers.
- Glaubwürdigkeit – Die gleichen Hintergründe geben mir zudem eine sehr hohe Glaubwürdigkeit in der Startup-Landschaft. Startups wissen, dass ich selbst schon in ihrer Rolle war, Corporates finden in mir einen der ihren und Investoren haben sehr ähnliche Interessen und Bewertungsmaßstäbe.
- Nahbarkeit – Ich kenne viele VCs, die strotzen nur so vor Arroganz. E-Mails werden nicht gelesen, Pitch-Events sind unter der Würde und Rückrufe sind etwas für den Wunschzettel an den Weihnachtsmann. Ich halte das nicht nur für unnötig, ich halte es auch für gefährlich. Nahbar sein und zuhören können sind zwei ganz wesentliche Faktoren, auf die Startups achten – und die sie untereinander weitertragen. Wozu Überheblichkeit im VC-Geschäft führen kann, hat sehr selbstkritisch (und amüsant) eine der erfolgreichsten VC Companies der Welt, Bessemer Venture Capital, in ihrem Anti-Portfolio aufgearbeitet.
- Verlässlichkeit – Man sollte sich immer vor Augen halten, dass Startups in Finanzierungsrunden unter Druck stehen. Unter Zeitdruck. Das noch verbliebene Kapital definiert die Runway, also die Rest-Lebenszeit, wenn kein frisches Kapital hereinkommt. Ich finde es sehr unfair Startups gegenüber, sich als Investor viel Zeit zu lassen. Termine nicht einzuhalten oder dauernd zu verschieben. Wenn ich weiß, dass meine internen Prozesse nicht mit der Deadline dieser Runde in Einklang zu bringen sind – dann sage ich ab, und zwar schnell. „Nein“ ist die zweitbeste Antwort, die ein Gründer bekommen kann.
- Vorstellungsvermögen – Man muss sich immer wieder vor Augen halten, dass Startups keine über Jahrzehnte gewachsenen Gebilde mit festen Strukturen und Prozessen sind. Panta rhei – alles fließt. Sich deshalb nur den Status Quo, oder, schlimmer noch, die Vergangenheit eines Startups anzuschauen, ist fatal. Es braucht vielmehr eine Menge Vorstellungsvermögen, um die tatsächlichen Potenziale, möglicherweise notwendigen Pivots und zukünftigen Entwicklungschancen zu erkennen. Fantasiebefreite Menschen sollten in Index-Werte investieren, nicht in Startups.
Venture Clienting - es muss nicht immer Equity sein
Es gibt viele Menschen, die messen den Erfolg von Scouting-Aktivitäten an getätigten Investments oder dem Wertzuwachs eines Portfolios. Nun, dem möchte ich – zumindest aus Sicht eines Corporate Investors – vehement widersprechen.
Zunächst einmal geht es beim Scouting immer auch darum, zu beobachten, zu analysieren und zu lernen. Welche Technologien entwickeln sich gerade wo auf der Welt? Wie werden diese zukünftig meine Märkte, mein Geschäft beeinflussen? Wer sind potenziell disruptiv agierende Wettbewerber von morgen? Startup- und Technologie-Scouting ist ein extrem wichtiges Instrument für Trend-Forschung, Corporate Development, Unternehmensstrategie und die eigene F&E.
Zusätzlich geht es jedoch auch darum, neue Technologien und Anwendungsmöglichkeiten frühzeitig und mit reduziertem Risiko ausprobieren zu können. Das Instrument für diesen Einsatzzweck heißt „Venture Clienting“ und bezeichnet die frühphasige Zusammenarbeit mit Startups, quasi als ein Pilot-Kunde. Natürlich bedeutet dies, dass das Produkt eben noch nicht jahrzehntelang erprobt und anwendungssicher ist – aber dafür kommt man in die strategisch günstige Position, seine eigenen Anforderungen frühzeitig mit in das Produktdesign einfließen zu lassen. Plus: Man hat eine Technologie früher als der Wettbewerb am Start, lernt schneller, optimiert früher – und kann sich dadurch einen echten Wettbewerbsvorteil sichern.
Bei Beiersdorf habe ich seit 2017 etwas mehr als 20 Piloten und POCs (Proofs of Concept) initiiert. Das erfolgreichste dieser Projekte ist mittlerweile in über 40 Ländern im Roll-Out, weitere sind als permanente Partner fest in unsere Prozesse eingebunden. Interessanterweise handelt es sich in den meisten Fällen um KI-gestützte Lösungen, das mag aber auch durchaus einem gewissen Bias auf meiner Seite geschuldet sein…