Künstliche Intelligenz: Ich denke, also bin ich
ein Computer.

Ja, stimmt: Bevor man sich mit dem Thema der künstlichen Intelligenz beschäftigt, wäre es oftmals ganz schön, gäbe es zumindest hinreichend menschliche Intelligenz. Da die Weltverbesserungsansprüche des Autors dieser Zeilen jedoch nicht unbegrenzt sind, soll es an dieser Stelle einmal wirklich nur um KI gehen.

Wobei ich vielleicht voraus schicken sollte, dass es tatsächliche künstliche Intelligenz noch nicht gibt. Was existiert, sind partielle Lösungen und Anwendungen, die sich in etwa so anfühlen, als wären sie das Ergebnis intelligenten Denkens – sind es aber im Regelfall nicht. Meine erste Berührung hatte ich im Jahre 1984 oder 85, als ich zum ersten Mal das Programm “ELIZA” auf meinem C-64 startete. ELIZA war eine (eher spielerische) Simulation einer Psychotherapeutin, die durch Affirmationen und Nachfragen tatsächlich in der Lage war, einen gewissen Gesprächsfluss aufrechtzuerhalten.

Ungefähr zur selben Zeit verbrachte ich auch einige Zeit (okay, zugegeben, enorm viel Zeit) mit einem anderen Computerspiel auf meinem C-64, dem “Little Computer People” Project. Bei diesem ging es darum, sich um den virtuellen Bewohner eines virtuellen Hauses zu kümmern. Durch Texteingaben konnte man ihn dazu bringen, Musik zu hören Klavier zu spielen oder zu lesen. Was jetzt enorm simpel (und vielleicht auch langweilig) klingt, fand ich damals sensationell, da hier gefühlt echte Interaktion mit einem digitalen Wesen sattfand, das zudem noch einen eigenen Willen und eigene Bedürfnisse hatte.

Es war vor allem ein Gedanke, der mich damals faszinierte: Was, wenn Computer irgendwann einmal tatsächlich ein eigenes Bewusstsein entwickeln? Was, wenn sie lernen, zu kommunizieren – und zwar ohne IF-THEN-Anweisungen und den Einsatz von Zufallsgeneratoren?

Chatbots und die SXSW

Es sollte tatsächlich bis 2018 dauern, bis mich dieses Thema wieder einholen würde. Im März dieses Jahres hatte es mich nämlich – durch eine Verkettung glücklicher, aber auch einigermaßen absurder Umstände – nach Austin, Texas zur alljährlich stattfindenden South-by-Southwest, kurz: SXSW verschlagen.

Falls Sie die SXSW nicht kennen: Es handelt sich um das größte Festival für Kreative weltweit. Unterteilt in die Haupt-Bereiche Interactive, Film und Music treffen sich hier alljährlich über 100.000 Digitale und Kreativschaffende aus aller Welt, um sich über die neuesten Technologien, Entwicklungen und Ideen auszutauschen.

Im Jahr 2018 waren für mich vor allem drei Erlebnisse prägend: Zum einen aß ich zum ersten Mal ein Würstchen, das aus in einem Labor gezüchteten Fleisch bestand. Das zweite Aha-Erlebnis war, einem Menschen live dabei zusehen zu können, wie er ein relativ komplexes Computerspiel (eine Art Escape-Room-Game) spielt – ohne den Einsatz seiner Hände, allein mittels an seinem Kopf angebrachten Trocken-Sensoren.

Und das dritte, mich mächtig beeindruckende Thema waren – Chatbots. Rund ein Dutzend Sessions beschäftigten sich damit, mal sehr direkt, mal eher indirekt (“What to do when machines do everything”). Ich sah diese Technologie, hörte die Experten und Visionäre darüber reden und dachte mir: Ja, genau so kann künstliche Intelligenz nützlich werden!

Zurück in Hamburg begann ich dann, das Thema weiterzuverfolgen. Herausgekommen sind verschiedene Aktivitäten von sehr unterschiedlichem Erfolg:

Der NIVEA-ALEXA-SKILL

Sobald man sich mit dem Thema Chatbots auseinandersetzt, kommt man fast zwangsweise auch zum Thema “Voice Assistants”. Natürlich hatte ich viel über die dahinter liegende KI gehört und träumte von beinah unendlichen Möglichkeiten… doch leider stellte sich schnell heraus, dass zwar die Spracherekennung durchaus von KI profitierte, die Anwendungen (“Skills”) selbst jedoch sehr einfache, komplett gescriptete und daher dumme Anwendungen waren.

Nichtsdestotrotz brachten wir alsbald einen NIVEA-Skill für den Amazon Echo heraus, jedoch ohne hier nennenswerte Erfolge zu erzielen.

CHATBOTS IM MARKETING

Sowohl aufgrund meiner Erfahrungen aus dem E-Mail-Marketing als auch durch meine Arbeit für Conversion Boosting wusste ich, dass Formulare einer der größten Killer für Online-Conversions sind. Doch wie würden sich Kunden verhalten, wenn sie statt mit einem Formular mit einem Dialogsystem konfrontiert würden? Wenn die Daten nicht wie bei einer Steuererklärung, sondern in einem Gespräch erhoben würden?

Genau das wollte ich herausfinden, und so lernte ich kurze Zeit später das Unternehmen LoyJoy kennen – dessen Lösungen mittlerweile in über 40 Beiersdorf-Märkten eingesetzt werden.

MARLIES, die digitale Hebamme

Marlies war sicherlich das anspruchsvollste Chatbot-Projekt, das ich verantworten durfte. Dahinter steckte nicht nur der Einsatz einer wirklich intelligenten Chatbot-Technologie (natursprachlich, nicht gescriptet!), sondern auch ein enorm hoher Anspruch an die Qualität der Antworten (es gelang uns, hierfür den Deutschen Hebammen-Verband als Kooperationspartner zu gewinnen) und ein komplett neues Geschäftsmodell (Einnahmen aus Sponsoring und nachgefragter Werbung).

Leider wurde Ende 2020 entschieden, Marlies intern nicht mehr weiterzuführen…

KI in der Marketing-Automatisierung

Was mich von Beginn an beim Einsatz von KI interessierte – und faszinierte – war die Möglichkeit, Maschinen tatsächlich kreativ werden zu lassen. Und im Laufe der letzten Jahre hat es auf diesem Gebiet tatsächlich enorme Fortschritte und bahnbrechende Entwicklungen gegeben:

Mittlerweile haben KI-Anwendungen beinah alle Bereiche des kreativen Schaffens erobert. Und einer dieser Bereiche betrifft mich sogar ganz persönlich: Die Erzeugung von Texten. Auch wenn Maschinen – noch! – nicht mit Headlines wie “Erst geht die Tür auf. Dann das Dach. Dann das Herz!” oder Slogans wie “Nicht immer. Aber immer öfter!” aufwarten können, für über 90% des normalen Texter-Lebens reicht es. Plattformen wie copy.ai oder Neuroflash sind mittlerweile erschreckend gut darin, funktionierende Werbetexte zu erstellen. Und sie werden – auch GPT-3 sei Dank – immer besser darin.

Marketing to Machines

In der Geschichte der Menschheit gab es insgesamt nur sehr wenig verschiedene Motivationen für Innovationen. Jemanden umzubringen war sicherlich eine. Unfassbar reich zu werden auf jeden Fall eine weitere. Aber ich glaube, dass die größte Motivation von allen schlichtweg… Faulheit war. Der Drang, Dinge mit weniger Aufwand oder in kürzerer Zeit zu erledigen, ist insbesondere seit dem Beginn des Industriezeitalters extrem dominant.

Warum zahlten wir erst für motorisierte und schließlich für autonome Rasenmäher? Wie lässt sich der Erfolg von Amazon und Zalando erklären?

Wenn man das einmal halbwegs konsequent zu Ende denkt, kommt man relativ schnell an den Punkt, dass es noch sehr vieles gibt, was wir am liebsten an eine Maschine delegiert und automatisiert hätten. Und eins dieser Dinge dürfte sicherlich der Einkauf von Dingen des täglichen Bedarfs sein. Mal ehrlich: Wieviel Freude bereitet es Ihnen, Toilettenpapier zu kaufen? Windeln? Katzenstreu? Tampons und Geschirrspültabs?

Das genau sind die Produktkategorein, von denen ich glaube, dass wir deren Einkauf irgendwann einem Algorithmus überlassen werden. Der genau weiß, wann wir etwas benötigen, wann wir es am besten in Empfang nehmen können, welche Marken wir bevorzugen und wo wir bereit sind, zugunsten des Preises von unseren Stammprodukten abzuweichen.

Und wenn es denn bald dazu kommen sollte – was bedeutet das eigentlich fürs Marketing? Was, wenn wir nicht mehr an einen Menschen, Verbraucher, Kunden verkaufen – sondern an einen Algorithmus? Was wird dann eine Rolle beim Einkaufsprozess spielen? Die Kreativität der Headline wird es mit Sicherheit nicht mehr sein, auch nicht die unterschwellig sexuelle Pose des abgebildeten Models – sondern harte Faktoren wie Retourenquoten, Ratings & Reviews, Rabatte und Ressourcenverbrauch (im Sinne von Nachhaltigkeit).

Ein wirklich mehr als spannendes Thema – über das ich zufällig auch Vorträge halte. Aber das natürlich nur am Rande 🙂