E-Mail Marketing: Sie haben (Power-)Post!

Abgesehen vom Thema Kundenbindung gibt es, glaube ich, kaum einen anderen Bereich, in dem ich so intensiv gearbeitet habe und so sehr zu den Top-Experten in Deutschland gezählt werde, wie beim E-Mail-Marketing. Ende der 90er-Jahre des letzten Jahrhunderts gab es vielleicht ein Dutzend Experten im deutschsprachigen Raum. Dazu zählten neben Torsten Schwarz von Absolit, Martin Aschoff von Agnitas, Nico Zorn von Artegic auch Klaus Artmann von Mission One und – ich. Auf den Konferenzen gaben wir uns die Klinke in die Hand, Fachartikel, Bücher und Buchbeiträge stammten im Wesentlich aus unseren Federn. In den späten 2000ern etablierten sich zudem René Kulka und andere als herausragende Experten, doch die erste Welle war und bleibt etwas Besonderes.

Man mag es sich kaum vorstellen, aber es gab eine Zeit, da musste man noch für das Double-Opt-in bzw. Permission Marketing eine Lanze brechen. Personalisierung beschränkte sich zunächst auf die korrekte Anrede und Inline-Bilder waren wegen der gefürchteten “Offline-Ansicht” ein großes Thema.

Newsletter und Mailinglisten

Schon relativ früh nach der Gründung meiner eigenen Agentur, “ENDLICH (agentur für) LÖSUNGEN” (1996), fand ich heraus, dass ein idealer Weg zur Kundenakquise und Eigen-PR die Versendung eines Newsletters ist. Da ich schon damals auch von den frühen Formen des Community-Marketings überzeugt war, gab ich neben dem monatlichen Newsletter “Loyalty News” auch eine Mailingliste heraus. Nie gehört? Kein Problem, ich zitiere mal Wikipedia:

Lizenz: cc-by-sa-3.0-de; Quelle: GenWiki

Eine Mailingliste (engl. mailing list) bietet einer geschlossenen Gruppe von Menschen durch eine Vernetzung mit elektronischen Mitteln die Möglichkeit zum Nachrichtenaustausch per E-Mail. Dieser Nachrichtenaustausch ist innerhalb der Gruppe öffentlich. Besonders häufig sind Mailinglisten im Internet. Mailinglisten sind historisch die Urform von Newsgroups und Internetforen, für bestimmte Zwecke aber auch heute noch das Mittel der Wahl. Mailinglisten werden zur multidirektionalen Kommunikation zwischen eher gleichberechtigten Teilnehmern eingesetzt. Der Unterschied zu Newslettern und Rundschreiben besteht darin, dass letztere eher einen unidirektionalen Verteiler von Nachrichten einer einzelnen Quelle darstellen. Graduelle Abweichungen von diesen Grundsätzen existieren, so dass die Übergänge zwischen Mailingliste und Newsletter fließend sind. Die Mailingliste ist eine Liste von E-Mail-Adressen, die selbst eine E-Mail-Adresse hat. Auf diese Weise kann jedes Mitglied der Mailingliste allen anderen Mitgliedern eine Nachricht zukommen lassen, ohne sie einzeln adressieren und sogar ohne die E-Mail-Adressen kennen zu müssen.

Besagte Mailingliste war es denn auch, die mir durch einen der ersten großen Fails meiner Berufslaufbahn viel Aufmerksamkeit bescherte. Ich hatte die Mailingliste hinsichtlich Autorespondern nachlässig konfiguriert. Und so kam es, dass einer der Nutzer eine Abwesenheitsnotiz eingerichtet hatte. Ein anderer Nutzer schickte nun eine Frage an die Liste, diese Frage wurde an alle Listenteilnehmer weitergeleitet – und bekam von ebenjenem Nutzer eine automatische Antwort. Die wiederum an alle Empfänger der Liste ging, inklusive des die Abwesenheitsnotiz sendenden – was wiederum eine neue Abwesenheitsmail auslöste. Und so wurden binnen weniger Minuten zehntausende E-Mails generiert und versendet, was wir erst merkten, als uns einer der Admins der Universität Hamburg anrief, weil dort gerade der Mail-Server abgeraucht war…

Das Handbuch E-Mail-Marketing

Kurze Zeit später erkannte ich, dass es in Deutschland noch sehr viel Nachholbedarf hinsichtlich E-Mail-Marketing gab. Also, nicht nur bei mir, sondern auch bei anderen Unternehmen 🙂 Egal, ob es dabei um die Technologie, die Adressengewinnung, die Gestaltung oder den Versand ging. Ja, selbst einfache Fragen der Netiquette waren noch das, was eine berühmte Kanzlerin Jahre später als “Neuland” bezeichnen sollte…

Tja, und da mein Verlag, Galileo Business, nach dem Erfolg meines Erstlings “Das Loyalitäts-Netzwerk” auf einen Nachfolger drängte, entschloss ich mich, das “Handbuch E-Mail-Marketing” zu schreiben. Und interessanterweise sind zwar mittlerweile viele Dinge zu Selbstverständlichkeiten geworden, manche auch obsolet oder etwas albern anmutend heutzutage (wie zum Beispiel die Übersicht über mittels ASCII erzeugten Emoticons und Abkürzungen), aber insgesamt halte ich dieses Buch immer noch für ein gutes Werk.

E-Mail-Marketing bei OTTO

Sich diverse Jahre auf Agentur- und Beratungsseite mit E-Mail-Marketing zu beschäftigen, ist das eine. Selbst Hand anlegen zu können an einen der größten E-Mail-Verteiler Deutschlands – das ist etwas ganz Anderes! Ab 2008 hatte ich hierzu die Gelegenheit. Zunächst als Freelancer, dann jedoch festangestellt als “Teamleiter E-Mail-Marketing” beim Hamburger Versandhandels-, später dann E-Commerce-Riesen OTTO.

Und auch, wenn man im Nachhinein oftmals vieles besser darstellt, als es zu der Zeit tatsächlich war – die Jahre im E-Mail-Marketing bei OTTO haben mir gezeigt, dass es durchaus machbar ist, auch vermeintlich bekloppte Ideen erfolgreich umzusetzen.

Eine der ersten eher wilden Ideen war es, passend zu einem schwarzen OTTO-Katalog auch einen schwarzen E-Mail-Newsletter zu versenden. Was auf den ersten Blick vielleicht logisch und naheliegend klingt, auf den zweiten aber durch keinerlei Corporate-Design-Richtlinie gerechtfertigt ist. Auch und vor allem deshalb meinte ein damaliger Kollege, mit mir eine Wette eingehen zu müssen. Zitat: “Dirk, wenn du es wirklich schaffst, den schwarzen Newsletter durch alle Gremien bis zum Versand zu bekommen, dann falle ich vor dir auf die Knie und werde dir huldigen!”

Tja, long story short: Es ist schon ein komisches Gefühl, einen solchen Kniefall mitten in einem Großeraum-Büro als “Angeknieter” zu erleben…

Das nächste “Ding der Unmöglichkeit” war das erste Millionen-Gewinnspiel von OTTO. Ich stand schon eine Weile mit ein paar Gewinnspiel-Versicherungen in Kontakt und fand, dass dies durchaus eine interessante Mechanik sei. Das Prinzip dahinter ist relativ simpel: Wenn die Gewinnwahrscheinlichkeit nur niedrig genug ist, kann der ausgelobte Hauptgewinn entsprechend hoch sein. Sollte jemand tatsächlich gewinnen, übernimmt die Versicherung die Kosten. So kann ein Unternehmen, statt 25.000 für einen Preis auszugeben, zu gleichen Kosten einen Preis für mehrere hunderttausend Euro ausloben.

Nun, 2011 zogen wir das für OTTO tatsächlich durch. Über 7 Wochen veranstalteten wir ein Gewinnspiel, bei dem der Jackpot jede Woche um 100.000 EURO anwuchs – um final bei 1 Mio. Euro zu laden. Was Teilnehmer tun mussten, war, jede Woche auf der Seite von otto.de zu prüfen, ob ihre Losnummer gewonnen  hätte. 

Und, ja – es gewann tatsächlich jemand die 1 Million Euro. Die dann aber zum Glück nicht OTTO, sondern die Gewinnspielversicherung auszahlen musste. Grund genug, diese Mechanik im Folgejahr erneut zu nutzen

Wenn es stimmt, dass die Kopie die aufrichtigste Form des Komplimentes darstellt, dann ist mir das mit dem Silvester-Newsletter 2008 widerfahren. Denn etwas mehr als ein Jahr später sahen wir zu unserem Erstaunen im Blog von E-Mail-Evangelist René Kulka, dass er sich sehr löblich über den aktuellen Silvester-Newsletter von C&A äußerte. Zu sehen war in diesem Newsletter das C&A-Team dahinter, also die Kolleginnen und Kollegen, die jede Woche aufs Neue ihre Leserschaft mit News und Angeboten versorgten.

Interessant in diesem Zusammenhang war jedoch vor allem, dass wir bei OTTO exakt das Gleiche, im annähernd identischen Layout mit annähernd identischen Farben ebenfalls gemacht hatten – allerdings ziemlich exakt ein Jahr früher. Und damit die ersten in Deutschland waren, die tatsächlich so etwas wie “Absenderpersonalisierung” durchführten.

Ende des Jahres 2008 war ich mit meinem Team ins OTTO-eigene Fotostudio gegangen, um uns selbst einmal professionell in – selbstverständlich von OTTO stammender! – Abendgarderobe ablichten zu lassen. Verbunden hatten wir das ganze dann mit einer personalisierten Ansprache bei den weiteren Modulen, einschließlich Bildpersonalisierung.

Kommerziell war diese Sonderausgabe nur leicht überdurchschnittlich – aber das Feedback der Kunden war enorm! Von “Wow, euch gibt es ja wirklich!” über “Super zu sehen, wer dahinter steckt” bis hin zu “Kann ich auch ein Teil dieses tollen Teams werden?” war wirklich alles dabei.

Während meiner E-Mail-Zeit bei OTTO gab es wohl nur einen einzigen Newsletter, der noch mehr direktes Feedback erzeugte… leider jedoch nicht wirklich positiv…

Der Fall "Ballack"

Stellen Sie sich vor, Sie haben eines der innovativsten Newsletter-Formate jemals und zudem noch eine unglaublich geniale Promotion-Mechanik entwickelt. Würden Sie dies so kommunizieren “wie immer”, oder würden Sie versuchen, über die Betreffzeile ein Maximum an Aufmerksamkeit zu erzielen? Ich entschied mich für letzteres – was sich im Nachgang als unfassbar dämlich entpuppte. Aber der Reihe nach…

Am 18.5.2010 sollte eine Newsletter-Sonderedition zur WM an rund 3,3 Millionen Newsletter-Empfänger versendet werden. Bei dieser Sonderedition handelte es sich um ein besonders innovatives, übergroßes Format, bei dem es ein klickbares Spielfeld ermöglicht, einen virtuellen Ball über das Newsletter-Spielfeld zu kicken. Zudem sollte in den kommenden Tagen eine innovative Garantie beworben werden: Die WM-Garantie. Diese funktioniert nach dem Prinzip der „Schmerzlinderung“ und lief genau gegenteilig zur Aktion von MediaMarkt/Saturn: Bei OTTO hätten Käufer bestimmter Fernseher umso mehr Geld zurückerstattet bekommen, je früher Deutschland aus dem Turnier ausgeschieden wäre.

Mit einer provokanten, ungewöhnlichen und tagesaktuellen Betreffzeile sollte die Öffnungsquote maximiert werden, um maximale Aufmerksamkeit für das Sonderformat sowie den WM-Shop zu erhalten. Die Betreffzeile „Wer braucht schon Ballack?“ sollte darauf hindeuten, dass wir bei OTTO trotz des tragischen Ausscheidens von Michael Ballack fest an einen WM-Erfolg des Deutschen Teams glauben, da die Mannschaft aus einem ganzen Team und Abermillionen Fans besteht. Diesen festen Glauben an den deutschen Erfolg wollten wir zum Wochenende (sofern möglich) mit einer erneuten Sonderaussendung nach dem Motto „Wir garantieren den WM-Erfolg!“ demonstrieren und so einen maximalen vertrieblichen Erfolg für den WM-Shop und insbesondere das TV-Sortiment einzufahren.

Little did we know…

Kaum war der Newsletter versendet, hagelte es Kritik. Im Kundencenter, auf Twitter, auf Facebook – und per Telefon. Neben diversen Kunden hatte sich auch ein gewisser Oliver Bierhoff gemeldet, um sich höchstpersönlich bei unserem Inhaber, Dr. Michael Otto, über diese unfassbare Unverschämtheit zu beschweren. Der natürlich seinen Ärger an unseren Vorstandsvorsitzenden weitergab. Und der an den Direktor E-Commerce. Und der an… mich.

Man kann sich vielleicht vorstellen, dass es durchaus bessere Tage in meiner Karriere gab als die folgenden. Interessanterweise wurde ich jedoch nicht gefeuert, sondern in den folgenden 2 Jahren sogar noch zweimal befördert.

Beirat bei Mission <ONE>

Manchmal hat man ja das Glück, dass etwas sehr Gutes, aber irgendwie verloren Geglaubtes, doch wieder zurück kommt. So ging es mir mit dem Thema E-Mail-Marketing: Dachte ich nach Jahren bei Beiersdorf, dass ich nichts mehr würde mit E-Mail-Marketing zu tun haben, ergab es sich in 2019 dann plötzlich, dass ich von der Mission One GmbH zum Beirat berufen wurde!

Und das ist,  offen gestanden, einfach großartig: Ich kann nicht nur wieder mit einem anderen der “E-Mail-Vordenker”, Klaus Artmann, zusammenarbeiten. Nein, ich darf das auch noch für ein Unternehmen tun, das wie kein anderes die Symbiose aus Technologie, Gestaltung und Beratung gemeistert hat.

Lucky me!